Arbeit - Eintritt frei - Merle Wolke, Autorin aus Berlin

Direkt zum Seiteninhalt

Hauptmenü:

Arbeit
Auszug aus dem Text „Eintritt frei“

(…)
Am frühen Abend ist es still, es ist ein Freitag. Die letzten Besucher sind bereits gegangen 
und Zumpel streift durch die Räume des Museums Haus in Holzwickede. Den Kabelbruch 
hat er ohne großen Aufwand repariert. Zumpel ist vertraut mit all den elektronischen 
Systemen der Museen im Kreis Unna; er ist wie der Landarzt, dem man vom Krankenbett 
her getrost zuruft: Kommen Sie nur rein, die Tür steht offen!
Zumpel mag diese losen Minuten kurz vor dem Feierabend, der O-beinige 
Museumsaufseher steht am Einlasstresen und schaut ohne Konzentration der Kassiererin 
zu, die die Tageseinnahmen zählt. Die Bilder kommen zur Ruhe und bevor das Licht 
abgeschaltet wird, setzt sich Zumpel im kleinen Saal mit den Linolschnitten auf einen Stuhl. 
Er mag diese groben schwarzen Linien; besonders, wenn sie diese schlichten Formen
haben. „Das kann doch nicht so schwer sein, hier mitzuspielen“, murmelt Zumpel und
denkt an Omas Küchenstuhl. Der Museumsaufseher humpelt seinen letzten Rundgang 
durch die Räume und entdeckt Zumpel, der einen Linolschnitt an der Wand studiert.
Er klopft ihm auf die massige Schulter und sagt: „Feldweg mit schwerem Bauernpferd. 
Der Gaul passt zu Ihnen Zumpel, ha ha. Na los, Zeit zum Heimtraben.“ Er lacht über seinen 
eigenen Witz. Für Zumpel sind diese Anspielungen am schlimmsten: wenn die Gemeinheit 
versucht sich zu tarnen, wie Gliederschmerzen ohne Grippe fühlt sich das an. Zumpel folgt 
dem Museumswärter Richtung Ausgang und betrachtet beim Gehen nachdenklich dessen 
O-Beine. Das bringt ihn auf eine Idee, auf dem Heimweg macht er einen Abstecher zum 
Künstlerbedarf in Bergkamen.

Nach einer Woche hat Zumpel endlich den richtigen Winkel gefunden, mit dem er das
Linolschnittmesser ansetzen muss. In seiner Werkstatt türmen sich verschnittene 
Linoleumstücke und der Mullverband um seine linke Hand ist schmutzig. Zumpel war bei 
seinem ersten kraftvollen Versuch mit dem Messer abgerutscht und hatte es tief in die
Innenfläche seiner Hand gerammt. Er arbeitet weiter, langsam, Schnitt für Schnitt. 
Eine Art von grimmiger Freude ist in Zumpel wach geworden.
Als Zumpel noch Bergrennen fuhr und alle Leidenschaft in den Druck auf das Gaspedal 
legte, hatte er oft diese Schübe gespürt. Es wollte fahren, gewinnen, dieses Herz aus 
Zündfunken.
(...)

 
Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü